1. Im Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungen
Wer im Arbeitsbereich Schulpastoral tätig ist, sieht sich vielfältigen Erwartungen ausgesetzt:
- Ein/e Schulleiter/in erwartet z.B., dass die Schule durch schulpastorale Aktivitäten und entsprechende Zeitungsberichte sich öffentlich als gute Schule darstellt oder dass „etwas an der Schule geschieht“, ohne aber zu viel „Unruhe“ oder Konfliktpotential zu fördern.
- Lehrer/innen an der konkreten Schule wünschen sich z.B. Unterstützung in ihren Bemühungen oder Entlastung in ihren Frustrationen oder Zeit für ein nettes Gespräch oder sie möchten in Ruhe gelassen werden.
- Eltern erwarten z.B., dass ihre Kinder neben einem möglichst erfolgreichen Abschneiden in der Schullaufbahn Unterstützung und qualifizierte Betreuung erleben, für den späteren Beruf „Schlüsselqualifikationen“ erwerben oder dass möglichst vielfältige Angebote (am besten kostenlos) zur beaufsichtigten Freizeitgestaltung gemacht werden.
- Schüler und Schülerinnen erwarten z.B. persönliche Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit, Bezug zu ihrer Lebensrealität, Umgang mit Kritik an der Kirche, Verständnis für ihre Lebens- und Glaubensprobleme und sie wünschen sich, dass Schule einfach mehr Spaß und Unterhaltung bietet („ fun und action“).
Mit solch vielfältigen Erwartungen und Wünschen ( und manchen mehr) soll eine ideale Lehrkraft im Kontext von Religionsunterricht und Schulpastoral neben der ganz alltäglichen Unterrichtsarbeit umgehen. Damit werden auch implizit Qualifikationen angesprochen, die es für die schulpastorale Arbeit braucht. An anderer Stelle in diesem Heft wird dies näher behandelt.
2. Was heißt spirituelle Kompetenz?
Um jedoch auf Dauer von diesen unterschiedlichen Ansprüchen nicht orientierungslos gehetzt und getrieben zum Opfer des „Burn-out“ zu werden, kommt neben fachlichen, didaktischen, pädagogischen und personalen Kompetenzen noch die zentrale Bedeutung spiritueller Kompetenz hinzu. Unter spiritueller Kompetenz verstehe ich in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, die jeweilige Situation im alltäglichen Schulleben sinnvoll zu deuten und entsprechend zu handeln. Dabei spielen die Schule als System, der konkrete Mensch gegenüber, meine eigenen Möglichkeiten und Grenzen sowie die Orientierung an der christlichen Botschaft eine Rolle. Dauerhafte spirituelle Aufgabe in der Gestaltung des Schullebens ist es, diese unterschiedlichen Pole in Balance zu halten und in „gelassenem Engagement“ die notwendigen Schwerpunkte zu setzen, um die eigenen Talente zum Wohl der Menschen in der Schule ins Spiel zu bringen, ohne sich selbst zu überschätzen oder völlig zu verausgaben.
Einzelne Aspekte diese „Balanceaktes“ möchte ich näher erläutern.
3. Orientierung an der christlichen Botschaft
Spiritualität in der Schulpastoral fundiert sich, indem sie sich an der christlichen Botschaft orientiert. Aus den Quellen des christlichen Glaubens werden Perspektiven des Handelns gewonnen, Schwerpunkte gesetzt und Optionen getroffen.
Der Optionsbegriff ist dabei kein Leistungsbegriff, sondern ein Entscheidungs- und Begrenzungsbegriff. Er lenkt den Blick auf das wirklich Wichtige und berücksichtigt die vorhandenen Möglichkeiten und Grenzen.
„Der Optionsbegriff thematisiert dabei das schwierige Problem der Verbindung von christlichem Glauben und christlicher Praxis im Zusammenhang mit der Frage, welche situativen Anforderungen mit welchen Handlungen zu beantworten sind. Angesichts begrenzter Ressourcen müssen Prioritäten in der Verbindung von Wort und Tat gesetzt werden, welche zwischen beliebigem und notwendigem Handeln unterscheiden helfen. Notwendig ist hier buchstäblich gemeint: Die Verbindung von Glaube und Handeln wird sich immer dort am meisten verausgaben, wo Menschen die Befreiung (von Not, von Armut, von Unterdrückung usw.) bitter nötig haben. Wer sich angesichts solcher Verhältnisse bedeckt und raushält, umgeht die ausschlaggebenden Kontakte zwischen Evangelium und Situation, zwischen Reich Gottes und Geschichte. Optionen entzünden sich demnach vornehmlich dort, wo Menschen leiden.“ (1)
Orientiert an der Heiligen Schrift lassen sich mit den beiden Eigenschaftswörtern „befreiend“ und „heilend“ zwei wesentliche Aspekte unseres christlichen Gottesbildes zusammenfassen. Mit den Tätigkeitswörtern „befreien“ und „heilen“ kann man auch die diakonische Aufgabe im Arbeitsfeld Schulpastoral konkretisieren. Mit dieser biblischen Grundlage wird schulpastorales Handeln vor Beliebigkeit, aber auch vor der Gefahr von Aktionismus bewahrt, da nicht alles, was an schulpastoralen Aktivitäten möglich wäre, diesen genannten Maßstäben entspricht.
4. Die Pflege der eigenen Spiritualität – Umgang mit meinen Möglichkeiten und Grenzen
Auch wenn der Begriff „heilen“ durch den Missbrauch von Sekten oder esoterischen Gruppen belastet oder missverständlich ist, möchte ich ihn trotzdem verwenden.
Um selbst „heilend“ für die Menschen in der Schule tätig zu sein und um fähig zu werden für heilsame Begegnung und geglückte Beziehung, brauche ich als Christ immer wieder die Bestärkung und das „Auftanken“. Deswegen gehört neben der fachlichen Qualifizierung für die Begleitung und Seelsorge auch die Pflege der eigenen Spiritualität zur Grundlage für das Wirken in der Schulpastoral.
Aus Gesprächen und aus eigener Erfahrung kenne ich das Gefühl der Überforderung und die aufkeimende Frage: Was soll ich denn noch alles machen? Niemandem gelingt es, eine gute Lehrkraft zu sein und sämtliche Aspekte von Schulpastoral zu verwirklichen. Schulpastoral ist nicht: Ich tue eine ganze Menge oder wir machen jetzt (irgend)etwas. Es geht eher darum, aus einer spirituellen Haltung heraus das, was mir wirklich wichtig ist, in die Gestaltung des Schullebens einzubringen. Dies sieht für jede und jeden anders aus.
Für mich bedeutet in diesem Zusammenhang das Gleichnis vom Wachsen der Saat in Mk 4, 26-29 eine spirituelle Ermutigung: Wachsen und wachsen lassen, mich selbst mit meinen Grenzen und Entwicklungsmöglichkeiten im Blick behalten; meine Fähigkeiten hineingeben, um den Boden zu bereiten und zu säen, aber mich nicht überschätzen, als ob ich alles machen könnte oder alles im Griff hätte. Manches wächst einfach ohne mein Zutun. Oft brauche ich einen langen Atem, bis sich etwas entfaltet. Die Saat auf dem Acker benötigt vier Jahreszeiten, um Frucht zu bringen. Die Zeit der Brache wechselt sich ab mit frühlingshaftem Keimen. Es gibt Wachstumsschübe und scheinbaren Stillstand, bis die Zeit der Reife und Ernte anbricht, bevor erneut die Winterruhe folgt. Das Gleichnis vom Wachsen der Saat entlastet vom Wahn, jederzeit produktiv, kreativ und „fruchtbar“ sein zu müssen.
Wer an seiner Schule die Kommunikation fördern will, wer anderen Wegbegleitung anbieten möchte, der sollte auch der eigenen Kommunikationsfähigkeit und Persönlichkeitsentwicklung einen Platz lassen. Nur während ich selbst mein Leben immer wieder im Licht des Evangeliums deute und daran orientiere, kann ich andere dazu ermutigen. Das Gelingen des Religionsunterrichts wie der Schulpastoral ist entscheidend mit der Person des Religionslehrers bzw. der Religionslehrerin verknüpft. Zudem wird, wie die Erfahrung immer mehr zeigt, Glaube und Kirche von vielen Schülerinnen und Schülern nur noch in der Person der Religionslehrkraft erlebt.
Schulpastoral „bietet auch Möglichkeiten, Erfahrungen in religiös-spiritueller Hinsicht zu machen und darüber mit anderen ins Gespräch zu kommen. ... Grundsatz ist dabei, dass sich alle, die sich in der Schulpastoral engagieren, als „personales Angebot“ verstehen und bereit sind, ihre Erfahrungen zur Sprache zu bringen und partnerschaftlich miteinander umzugehen. Je besser sich diese unterschiedlichen Personengruppen untereinander verstehen, um so menschlicher und lebenswerter wird das Schulleben.“ (2)
Deshalb sollte jede und jeder, der Schulpastoral betreibt, immer auch sich selbst im Blick behalten, seine eigenen Ressourcen (im umfassenden Sinn) nähren und sich genügend Raum und Zeit lassen, um die eigene Spiritualität zu pflegen. Daraus entwickeln sich die not-wendigen Schritte des Tuns.
„Zur Ruhe kommen, Erlebtes vertiefen, Feste feiern, Zeit zum Nichtstun haben, Gastfreundschaft pflegen hat viel mit Gott zu tun. Gott selber ruhte, und wer immer sich erholt, um neue Kräfte zu sammeln, wird Gott ähnlich. Der Sabbat wird zum Bundeszeichen, zum Tag, an dem die Beziehungen der Menschen untereinander und zu Gott gefeiert werden. Die erste Begründung weist darauf hin, dass der Mensch mehr wert ist als seine Leistung, dass sein Leben bis zur letzten Minute auch als kranker, alter und gebrechlicher Mensch unendlich kostbar ist. Dies gilt es einzuüben und zu feiern. Es ist die Einladung, seinem Leben Sinn zu geben.“ (3)
Aus einem Vortrag von Pater Anselm Grün nach seinem Buch „Menschen führen – Leben wecken“ ergänze ich noch Hauptlinien, die zu den bisherigen Gedanken passen.
In Anlehnung an Benedikt fragt Anselm Grün, wie der Führende beschaffen sein muss, damit er gut mit seiner Aufgabe umgehen kann. Das Wichtigste sei die Aussöhnung mit sich und seiner Lebensgeschichte. Ansonsten ist er dazu verdammt, auf Dauer andere und sich selbst in der Arbeit zu verletzen. Ein gutes Maß an Arbeit macht Spaß und „fließt“, wenn es von innen heraus kommt. Arbeit, mit der ich mich selbst verletze, kann sich in der Grenzenlosigkeit der Arbeitszeit zeigen. Der Mensch versteckt sich hinter seiner Arbeit und gleichzeitig geht etwas Aggressives von ihm aus. Aufopferung für die Firma (oder die Schule oder die Kirche) stimmt skeptisch. Neben einem Opferlamm ist es schwer zu leben. Das Opferlamm wird schnell zum Täter, der andere verletzt. Dies schafft ein krankes Klima, in dem keine Leistung gedeiht. Wenn ich jemand in seiner Würde kränke, wird er nie aufstehen und etwas leisten. Psychischer Hintergrund solcher Handlungsweisen können „Vaterwunden“ sein, die unbewusst ausgelebt werden. So engagierte sich eine Lehrerin dermaßen für ihre Schüler, dass sie ständig verausgabt war. Sie überforderte sich aus dem Zwang heraus, viel zu leisten, damit sie geachtet und wahrgenommen wurde und bekam doch nie, was sie brauchte. Ein Ziel in der Arbeit sollte es sein, zu geben, ohne mich auf Dauer zu verausgaben. Dahinter stehen die Fragen: Woraus lebe ich? Was geht unbewusst von mir aus?
Wichtig ist es, uns gut zu kennen, damit wir nicht unsere unbewussten Schattenseiten auf andere werfen. Während ich auf das Befinden meiner eigenen Seele achte, frage ich mich z.B.: Mit welchem Gefühl beginne ich und beende ich die Arbeit? Diese Achtsamkeit auf mein Befinden kann mich davor bewahren, ausgebrannt zu werden. So dürfen wir die Welt mitprägen und heilend in unserem Beruf wirken, anstatt andere durch unser Tun krank zu machen.
Soweit meine Mitschrift des Vortrags von Pater Anselm Grün.
Die vielfältige Arbeit in der Schulpastoral wird für andere und für uns selbst erfüllend und bereichernd, indem wir dazu beitragen, dass der Lernort Schule auch als Lebensraum erfahrbar wird, in dem Beziehungen wachsen, Probleme bewältigt werden und Menschen mehr zu sich und zu Gott finden.
Ulrich Geißler
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(1) Fuchs, Ottmar: Dabeibleiben oder weggehen? Christen im Konflikt mit der Kirche, München 1989, S. 42f.
(2) Kirchl. Amtsblatt Rottenburg-Stuttgart 1996: Schulpastoral der Diözese Rottenburg-Stuttgart, S. 95
(3) Stutz, Pierre: Urvertrauen und Widerstand, Luzern/Stuttgart 1991, Seitenzahl unbekannt, da Zitat aus „Christ in der Gegenwart“