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Das Evangelium nach Mel Gibson: Der Film "Die Passion Christi"

Haupt voll Blut und Wunden 
Christ in der Gegenwart nimmt Stellung zum heutigen Bundesstart des Films:


Das Evangelium nach Mel Gibson: Der Film "Die Passion Christi"


(Von Michael Schrom) Noch ist die Leinwand dunkel, noch hat das fahle, blaue Dämmerlicht den Ölberg nicht zu einem nebelumwehten Schicksalsort stilisiert, da steht das theologische Leitmotiv des Films vor aller Augen: „Er hat unsere Krankheiten getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen." Das vierte Lied vom Gottesknecht aus dem Buch Jesaja ist die Hintergrundfolie, auf der der Hollywood-Regisseur Mel Gibson mit religiöser Inbrunst seine blutige Passionsandacht erzählt.

Sie beginnt geradezu faustisch. Der Teufel, eine androgyne, glattrasierte Frauengestalt, behauptet: Keiner kann die Sünden der Welt tragen. Dann setzt er eine kleine Schlange aus, die auf den in Todesangst betenden Jesus zukriecht. Vielleicht ein Symbol für die Zweifel, die in ihm hochsteigen. Doch er widersteht der Versuchung, vor dem Tod zu fliehen. „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe." Kraftvoll zertritt er die Schlange. Im nächsten Bild stehen die Häscher vor ihm.



In den folgenden zwei Stunden geht es darum, möglichst detailliert und eindringlich zu zeigen, daß und wie Jesus körperlich und seelisch für alle Sünden der Welt Sühne geleistet hat. Deshalb - und nicht aus Lust an der Grausamkeit - gibt es diese endlos langen, in Zeitlupe aufgenommenen Geißelungsszenen. Deshalb die vielen Stürze, die klaffenden Wunden, die Widerhaken in den Peitschen, die das Fleisch stückeweise aus der Haut reißen. Jeder Schlag auf den Rücken dieses Menschen leistet Sühne. Je grausamer, desto erlösender. Der Teufel, der behauptet hatte, kein Mensch könne dies, der Satan, der das „Schauspiel" immer wieder als Beobachter verfolgt, wird am Ende einen markerschütternden Schrei ausstoßen. Die Sühneleistung, das Opfer ist vollbracht. Nur - was heißt das?

So fühlt sich „heiße" Religion an

Viele bedeutende Regisseure haben sich an der Gestalt des Jesus von Nazareth abgearbeitet und ihre eigenen Fragen miteingebracht. Pier Paolo Pasolini zeigte (in „Das erste Evangelium") einen asketisch-zornigen Jesus und die soziale Sprengkraft des Evangeliums. Franco Zeffirelli mühte sich (in „Jesus von Nazareth"), den Lebensweg Jesu und seine jüdische Umwelt darzustellen. Martin Scorsese fragte (in „Die letzte Versuchung Christi") anstößig, ob Jesus die Welt auch erlöst hätte, wenn er Frau und Kind gehabt hätte. Und Denys Arcand wagte (in „Jesus von Montreal") eine geniale Übersetzung der Jesus-Botschaft ins Heute. Mel Gibson stellt keine Fragen. Er ist gewissermaßen der Anti-Scorsese, kein Zweifler, sondern ein überzeugter Missionar. „Ich wollte wirklich die Größe dieses Opfers wie auch den damit verbundenen Horror zum Ausdruck bringen... Das ist in meinen Augen die größte Geschichte, die je erzählt werden kann."

Nach all den läppischen Pfarrer- und Nonnenserien im Fernsehen der Gegenwart, nach all den mittelprächtigen Komödien und Krimis, in denen das Christentum nur eine hohle Kulisse abgibt, kann man Gibson den Respekt für sein leidenschaftliches Jesus-Porträt nicht versagen. So fühlt sich „heiße" Religion an: ungefilterte Ergriffenheit statt lauer Behaglichkeit. Die Leidenschaft des Regisseurs strahlt aus: auf die Schauspieler, auf die Bildsprache - und natürlich auf die Gefühle der Zuschauer. Aber es ist keine vorwärtsgewandte, sondern eine rückwärtsgewandte Theologie, die mit allen Mitteln der modernen Filmkunst auf der Leinwand ausgefächert wird.

Erlösung, magisch gedacht

Gibsons Filmsprache steht in der spirituellen Tradition der mittelalterlichen Büßer, die sich geißelten, um eine Gottunmittelbarkeit zu erreichen. Sie wandelt auf den Spuren der mystischen Frauengestalten, die jedes Detail der Marter meditierten und in den Folterreliquien geradezu magische Heilswerkzeuge sahen. Der Fluchtpunkt von Gibsons Theologie ist gewiß ein erlösender, rettender Gott, der aber durch ein Bußopfer versöhnt werden muß, dem man sich durch unschuldiges Leiden nähert. Das Leitmotiv ist das Blut, das Haupt voll Blut und Wunden. Unter dem Kreuz wird Maria ihr Gesicht mit dem herabrinnenden Blut ihres Sohnes benetzen, und der römische Hauptmann stellt sich nach dem Lanzenstich wie unter eine reinigende Dusche aus Blut und Wasser. Doch gerade dieses magische Verständnis von Erlösung ist in einer nachmythologisch-aufgeklärten Religion nicht grundlos in die Krise geraten. Es „funktioniert" nicht einmal mehr im Kino, dem letzten Reservat des Mythos'.

Die hämischen römischen Folterknechte, die sich im Film in den Blutrausch hineinsteigern, kann man noch deuten als eine Chiffre für sinnlos-sadistische Gewalt im Menschen. Da gibt es auch eine Brücke zu den Opfern von Diktaturen in allen Zeiten. Von der Sklaverei in Afrika über Argentinien und Chile bis zum Nordkorea der Gegenwart. Wie aber soll man das drastische Leiden Jesu dazu in Beziehung setzen? Hier bleiben die Bilder, so sehr sie unter die Haut gehen, verschlossen. Irgendwann erscheint einem der gequälte Leib, dessen Wunden alles menschliche Fassungsvermögen übersteigen, nur noch fremdbestimmt, nur noch masochistisch inszeniert, unnatürlich entrückt. Solches Leiden hat nichts Läuterndes mehr. Es konfrontiert nicht mit dem eigenen Unerklärbaren, dem Bösen in mir. Dieser Jesus von Mel Gibson ist keiner mehr von uns.

Wie die Leidensmystik spanischer Schauspiele

Die überdimensionale Inszenierung der Karfreitags-Leidensmystik - in ihrer Inbrunst und Dramatik den spanischen, lateinamerikanischen oder philippinischen Passionsschauspielen ähnlich - wird noch verstärkt durch die sehr schwachen Bilder, die Gibson für die Auferstehung findet. Da ist kein kosmischer Christus, keine ins Universale strebende Farbexplosion wie etwa im Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. Da ist kein radikaler Auf-Bruch hinein ins Transzendente wie etwa bei den Filmen des Lars von Trier. Da beginnt nichts wirklich Neues, Anderes. Die in Laken gehüllte Leiche wirkt eher wie eine Gummipuppe, aus der Luft herausgelassen wird. Übrig bleibt einzig die Hülle. Dann sieht man einen frisch rasierten und gekämmten Jesus im Profil, der durch zwei kreisrunde aseptische Löcher an den Händen an sein Martyrium erinnert. Einzig der Teufel in seinem Schrei scheint zu begreifen, daß die Auferstehung keine schlichte Verlängerung des irdischen Lebens ist.

Dem „Evangelium nach Mel Gibson" fehlt eine moderne mystische Überzeugungskraft als Brücke in unsere aufgeklärte Welterfahrung hinein. Das Werk ist zweifellos innig, leidenschaftlich, doch im Kern weltfremd und unhistorisch. Die kehlig klingende aramäische Sprache tut dem Lokalkolorit des Filmes gut, verstärkt aber das Gefühl der Unnahbarkeit und zeitlosen Weltabgewandtheit dieses Geschehens.

„Starke" Sequenzen, schwache Theologie

Im Vorfeld wurde immer wieder der Antisemitismusvorwurf erhoben, was für enorme Aufregung sorgte. Im Film herrscht die Erzähltradition des Johannes-Evangeliums vor. Insofern dieses tatsächlich viele kritische Polemiken gegen „die Juden" enthält, geriet das Werk schnell unter Verdacht, gegen Juden zu hetzen oder latente antisemitische Vorurteile zu stärken. Allerdings spricht aus dem Evangelium eben eine innerjüdische Kritik, von Juden an Juden, von Zeitgenossen an Zeitgenossen. Wer um diese Zusammenhänge nicht weiß, könnte das Bild der Juden im Film tatsächlich falsch verstehen. Doch dort gibt es ebenso jüdische Schriftgelehrte, die gegen den Prozeß protestieren, und Simon von Cyrene, der ausgesprochen positiv dargestellt wird, ist gleichfalls eine jüdische Figur.

Was bleibt? Einerseits wird man klassische Passionsbilder der Volksfrömmigkeit wiederentdecken, wie man sie vielleicht aus der Kindheit noch kennt. So erging es insbesondere Journalisten bei der Pressevorführung, die seit Jahren keine Kirche mehr betreten hatten. Aber was nützt der Blick zurück, wenn er einem Christus-Verständnis für heute und morgen nicht auf die Sprünge helfen kann? Heftige Passionsbilder wecken noch keine dynamische Auferstehungshoffnung. So offenbart der Film gerade in seinen „starken" Sequenzen die größten theologischen Schwächen. Es ist, wie es war. Es ist, wie es ist.


CiG 13/2004

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