Schulpastoral und Internet
Themen Specials
Suche auf www.schulpastoral.de
Bibliothek auf www.rpi-virtuell.de
|
Bildungsstandards: Neue Herausforderungen für Schulpastoral und Religionsunterricht
Die Bildungsstandards setzen neue Akzente: Religionsunterricht und Schulpastoral müssen ihre Profile den neuen Anforderungen anpassen. Spannungsfrei wird das nicht möglich sein. (BEATE THALHEIMER)
Schulpastoral (SP) und Religionsunterricht (RU) verstehen sich beide als Dienst der Kirche in Schulen. Der RU ist abgesichert durch eine verfassungsrechtliche Grundlage, selbstständig und eingebunden in den Kanon der Fächer. Die Rahmenbedingungen, Zielsetzung und Ausführungsbestimmungen sind vorgegeben und bedürfen nicht einer permanenten Überprüfung ihrer Berechtigung. Die SP ist nicht zuletzt auf den guten Willen der Schulleitung und der Lehrerinnenkollegien angewiesen. Sie bewegt sich relativ offen im Raum der Schule und baut auf die Fähigkeit, selbst die Initiative zu ergreifen. Ihre Aufmerksamkeit ist ausgerichtet auf die Wahrnehmung des Lebens in der Schule. Von hier aus sucht sie Wege und entwickelt angemessene Maßnahmen, die den Menschen in der Schule Orientierung, spirituelle Erfahrungen und Gemeinschaft ermöglichen. Die Schieflage hinsichtlich der institutionellen Ressourcen erschwert allerdings mitunter eine unbefangene Kooperation. Die Frage nach der Ergänzung und Abgrenzung von SP und RU bleibt eine offene, weil beide durch ihr Verwobensein mit Strukturen, Konzepten und Personen dynamischen Entwicklungen ausgesetzt sind. Herausforderungen durch die Bildungsstandards Zum Schuljahr 2004/2005 werden in Baden-Württemberg die neuen Bildungspläne in Kraft gesetzt. Mit neuen Begrifflichkeiten wie Kompetenzen, Themenfelder, Dimensionen, Output-Orientierung, Schulcurricula und Personalentwicklung halten die Bildungsstandards Einzug in den Schulalltag. Die Bildungsstandards für den Religionsunterricht sind für alle Schularten formuliert und im Internet einzusehen. Welchen Einfluss Bildungsstandards auf das Verhältnis zwischen SP und RU haben können, lässt sich hier exemplarisch erkunden. Positiv fällt als Erstes auf, dass SP erstmals überhaupt in den Bildungsplänen aller Schularten in den einführenden Leitgedanken zum Katholischen Religionsunterricht ausdrücklich genannt wird. Ein Vergleich, dessen ausführliche Darstellung hier zu weit führen würde, zeigt, dass es kein einheitliches Verständnis von SP gibt und der RU der SP die Rolle im neuen Gesamtgefüge zuweist. Dabei erfolgt zum einen eine anscheinend beliebige Zuordnung zu didaktischen Grundsätzen und der Gestaltung des Schullebens. Zum anderen wird die SP teilweise sehr stark auf einzelne Maßnahmen (etwa Tage der Orientierung, Sozialpraktika) verkürzt dargestellt. Zugleich wird die Schnittfläche zwischen RU und SP immer größer, wenn der RU nun durch die Mitgestaltung von Festen, Feiern, Gottesdiensten und weiteren Aktivitäten seinen Beitrag zum Schulcurriculum leistet. Im Beziehungsgefüge zwischen RU und SP löst dieser Vorgang Irritationen und Störungen, zumindest aber Verwunderungen aus. Ein Beispiel kann dies anschaulich machen: Seit vielen Jahren legt die SP ihre Finger an den wunden Punkt der mangelnden Vernetzung zwischen Schule, RU und Gemeinde. Im Bereich SP wurden verschiedene Projekte initiiert, die beispielhaft für Wege einer engeren Kooperation stehen. Jetzt fordern die Bildungsstandards offenere Lernformen, die die Kooperation des RU mit Pfarr- und Kirchengemeinden nahe legen. Der RU wird also voraussichtlich ein erschlossenes schulpastorales Feld besiedeln. Die SP kann sich dort zurückziehen und aufgrund ihres wahrnehmenden Zugangs zur Lebenswirklichkeit in Schulen neue Ansatzpunkte für die Mitgestaltung des Schullebens finden. Neben Irritationen im Miteinander zeichnet sich durch die Einführung der Bildungsstandards ein neuer Orientierungsrahmen für das je eigene Selbstverständnis von RU und SP ab. Was verändert sich für den RU? Der RU blickt auf eine lange Tradition zurück, in der er den Schülerinnen (selbst organisierte) Erfahrungs- und Lernformen im persönlichen, sozialen und methodischen Bereich vor dem Hintergrund der vorgegebenen Unterrichtsthemen angeboten hat. Nun findet er sich in der neuen Situation wieder. Der Kompetenzerwerb in den genannten Bereichen ist zum zentralen Anliegen der Bildungsstandards und damit verbindlich für alle Fächer zum Ziel geworden. Die Lehrerinnen, die schon vor der Zeit der Bildungsstandards ihren Unterricht kreativ und schülerorientiert gestaltet haben, werden mit wenig Schwierigkeiten bei der Umstellung zu rechnen haben. Sie werden von den gewünschten Wegen der schulinternen und externen Kooperation mit außerschulischen Trägern profitieren (Erfahrungsaustausch, fachliche und persönliche Weiterentwicklung durch Kooperation mit Kolleginnen, Austausch von Materialien und Ideen usw.). Für die Weiterentwicklung des RU wird die »religiöse Kompetenz« als »Spezialkompetenz« zur neuen Orientierungsmarke. Die Unterrichtsdidaktik wird also aufgefordert sein, konsequenter als bisher den RU von der Entwicklung der religiösen Kompetenz bei Schülerinnen her zu gestalten. Insgesamt sind die Konsequenzen für den RU, die sich jenseits der Unterrichtsstunden durch die Bildungsstandards ergeben werden, noch nicht abzusehen. Was verändert sich für die SP? Auch die SP steht vor der Frage, wie sie sich im Rahmen der Bildungsstandards umorientieren und ggf. schulpastorale Angebote im Schulcurriculum verankern möchte. Mancherorten weisen die Schulcurricula bereits Aktivitäten aus, die sich der SP zuordnen ließen, wie z. B. schulbezogene Formen kirchlicher Jugendarbeit, die an Schulen entwickelt wurden (Streitschlichterprogramme, Schülermentorprogramme usw.). Unübersehbar geht damit eine weitere Institutionalisierung kirchlich mitgetragener Maßnahmen an Schulen aller Art einher. Während bislang vor allem Schul- und Schülergottesdienste, mancherorts auch Besinnungstage bzw. Tage der Orientierung für unterschiedliche Klassenstufen, zum festen Bestandteil der Schulkultur gehören, stellt sich nun die Frage, ob darüber hinaus eine weitere verbindliche Mitarbeit sinnvoll und überhaupt möglich ist. Nach wie vor wird SP überwiegend ehrenamtlich geleistet. Eine Verankerung schulpastoraler Angebote im Schulcurriculum würde zu einer weiteren Bindung der Kräfte, hier vor allem der ehrenamtlichen Kräfte, führen. Es ist damit zu rechnen, dass ehrenamtliches Engagement sich nicht langfristig derart binden lassen kann und möchte. In Anbetracht der ohnehin knappen Ressourcen würde die SP zudem Gefahr laufen, einem ihrer Grundanliegen nicht mehr gerecht zu werden. Den pastoralen Intentionen des Zweiten Vatikanischen Konzils folgend geht es ihr zunächst um die Wahrnehmung der Menschen und Lebensbedingungen im Lebensraum Schule. Um zum Dienst an den Menschen im Handlungsfeld Schule werden zu können, sucht sie Wege für ein situationsangemessenes Handeln (situativer Ansatz). Mit diesem Ansatz pastoralen Handelns geht die Voraussetzung einher, flexibel zu bleiben, wenn es um Bedürfnisse, Nöte, Hoffnungen und Orientierung der Menschen in der Schule geht. SP steht also vor der Entscheidung, sich Institutionen mehr zu binden und dabei vielleicht Zugang zu bislang verschlossenen Ressourcen zu erhalten. SP und RU - ein starkes Team? Mit welchem Kooperationsmodell begegnen RU und SP sinnvollerweise den Herausforderungen, die sich durch die Bildungspläne abzeichnen? Ein »Plus-Modell«, bei dem der eine Partner dem anderen die Bereiche zuweist, die er selbst nicht zu beackern vermag? Oder geht es um eine gleichberechtigte Partnerschaft, in der Unterschiede anerkannt werden und im gegenseitigen Einverständnis oder wenigstens im Konsens gehandelt wird? SP und RU können als »gutes Team« gelten, wenn es gelingt,
Eine besondere Ausgangssituation ergibt sich dort, wo Religionslehrerinnen gleichzeitig Schulseelsorgerinnen sind. Sie stehen vor der großen Herausforderung, sozusagen in einem inneren Team die Anliegen und Aufgaben der beiden Bereiche an relevanten Stellen zu unterscheiden. Das Engagement, das Lehrkräfte an den Tag legen, wird häufig nicht angemessen gewürdigt, da außenstehende Betrachterinnen geradezu selbstverständlich davon ausgehen, dass die Religionslehrerinnen ihr zusätzliches Engagement im Rahmen des RUs leisten. Die schulpastoralen Anliegen und Profile sind selten spezifisch zu erkennen, es sei denn es liegt ein ausdrücklicher Auftrag für SP vor, der als solcher identifizierbar ist. In dieser Konstellation werden die beiden kirchlichen Dienste in der Schule also selten nebeneinander wahrnehmbar. Anders stellt sich die Situation an den Schulen dar, an denen SP und RU durch unterschiedliche Personen und dadurch als Team vertreten sind. In beiden Fällen ergeben sich durch die Bildungsstandards Veränderungen, die zu neuen Perspektiven führen. Einige Ideen können anregen, Chancen, neue Wege und Akzente auszuloten:
1. Verbündete suchen Die Verlautbarung der Bischöfe und vergleichbare schulpastorale Konzeptionen regen die Gründung von Mitarbeiterinnenkreisen an. Der offizielle Charakter hat für viele eher eine abschreckende Wirkung. Näher liegend ist es, sich nach Verbündeten umzuschauen. Wer teilt das Anliegen, Schule in Zeiten des permanenten Wandels als Lebensraum zu gestalten und zu erhalten? Wie der Religionsunterricht richten sich die meisten schulpastoralen Aktivitäten auf die Schülerinnen aus. Das Anliegen, dass SP für alle Menschen in der Schule offen ist, droht dabei verloren zu gehen. Hier geht es darum, den Blick zu weiten, Verbündete bei den Kollegen und Kolleginnen, bei Schülerinnen und Schülern, Vätern, Müttern und Erziehungsberechtigten, der Schulleitung, dem Hausmeister und anderen zu suchen.
2. Begegnung und andere Angebote Mit den Bildungsstandards wurden variablere Formen von Unterricht, also Projekte, Aktionen und anderen Maßnahmen jenseits des 45-Minuten-Taktes ausdrücklich gefördert. Die SP kann sich damit zukünftig stärker auf andere Aufgaben konzentrieren, die eher im Bereich der Koinonia und Diakonia angesiedelt sind. Die SP initiiert Gespräche und Begegnungen, in denen Fragen nach Orientierung im Leben, nach Sinn und spirituellen Erfahrungen, nach sinnvoller Freizeitgestaltung, nach Kunst und Kultur als Ansatzpunkte für gemeinsame Interessen usw. in der Schule einen Raum finden. Es geht zunächst mehr um ein »Da-Sein« und »Unterwegssein« als um ein Organisieren von Veranstaltungen.
3. Mehr Kooperation inner- und außerhalb der Schule Die Bildungsstandards bieten einen offeneren Rahmen für den Unterricht und für fächerverbindendes Lernen. So kann z. B. ein stadtteilbezogenes Projekt in Kooperation der Fächer Geschichte und RU die Entwicklung der Stadtgeschichte verbinden mit der Geschichte der Kirchen- und Pfarrgemeinden. Wenn Projekte zur Berufsorientierung durchgeführt werden, können z. B. »Besinnungstage« Jugendliche unterstützen, sich über ihren eigenen Lebensweg Gedanken zu machen, ihn spirituell zu deuten und daneben zu erkunden, welche beruflichen Möglichkeiten ein karitativer und kirchlicher Arbeitgeber gewähren kann.
4. Kontakte zwischen Schulen und Pfarrgemeinden aktivieren Die Bildungsstandards bieten mit ihrem handlungsorientierteren Ansatz Anlässe, im Rahmen des Unterrichts Kontakte zu den Gemeinden aufzunehmen. Die Schülerinnen lernen dadurch Personen, Strukturen, Orte und Angebote der Pfarrgemeinden kennen. Wie können die Schülerinnen dort eine einladende Gemeinde erleben? Wie erfahren sie ein Interesse der Gemeindemitglieder an ihren eigenen Lebenserfahrungen? Es lohnt sich, in den Kirchen- und Pfarrgemeinden das Bewusstsein zu fördern, dass Schulen als eigenes pastorales Handlungsfeld der Gemeinde wahrgenommen werden. Die Veränderung der Schule hin zu offeneren Formen und zu einem Ganztagesbetrieb fordern geradezu heraus, dass Gemeindemitglieder sich auf den Weg zu den Kindern und Jugendlichen in der Schule machen und dort gemeinsam mit ihnen »Gott und dem Leben« auf der Spur zu bleiben. Die Veränderungen der schulischen Abläufe bringen zudem Chancen für eine stärkere Vernetzung der Sakramentenkatechese und der kirchlichen Jugendarbeit mit den Aktivitäten der Schule mit sich.
5. Mehr initiieren und begleiten, weniger selbst veranstalten Da der RU zukünftig die religiöse Kompetenz der Schülerinnen gezielt fördern und vermehrt Projekte und Aktionen durchführen wird, kann die SP andere Akzente setzen. Ansprechbar zu sein könnte zu einer vorrangigen Grundhaltung von Schulseelsorgerinnen werden. Hinhören und Mitgehen, Unterstützen und Ermutigen gehören zur Hauptaufgabe und bestärken andere darin, den eigenen Weg zu gehen, sich Weggefährtinnen zu suchen und Gemeinschaft zu erleben. Schulseelsorgerinnen haben damit mehr Zeit, sich dort einzumischen, wo Menschenfreundlichkeit gefährdet ist und Ungerechtigkeit überhand nimmt. Als Team können SP und RU aufgrund ihrer spezifischen Anliegen und Möglichkeiten für Menschen in den Schulen zu Netz- und Knotenpunkten werden, an denen Kirche in der Welt von Heute ein menschenfreundliches Gesicht zeigt.
Autorin Beate Thalheimer war in der Diözese Rottenburg-Stuttgart zunächst als Referentin für Schulpastoral tätig und arbeitet dort nun als Dozentin für Religionspädagogik in der Ausbildung der Pastoralreferentinnen.
LITERATUR
Internetadressen mit Informationen zu den baden-württembergischenden Bildungsstandards:
Quelle: Katechetische Blätter „Disziplin“ Heft 4/2004, S. 297-302 -> Im Internet: www.katbl.de (Mit Dank für die Erlaubnis der Veröffentlichung auf diesem Portal - Ein Kopieren dieses Artikels für eine öffentliche Präsentation im Internet oder in Buchform ist nicht gestattet bzw. nur mit Erlaubnis des Kösel-Verlags gestattet.)
Bewertung gesamt: 0
Durchschnitt: 0
|