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Christa Nickels MdB: Zur Zukunft des Religionsunterrichts
Autor: Christa Nickels MdB, Mitglied im Hauptausschuss des ZdK
Quelle: "Salzkörner" des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken Autentizität ist unverzichtbar Zur Zukunft des Religionsunterrichts Der Streit über die Einführung eines allgemein verbindlichen Wertekundeunterrichts im Land Berlin hat eine überfällige Debatte neu belebt: die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Religionsunterrichts in Deutschland. Nach den Auseinandersetzungen um LER 1994 war diese Debatte lange Zeit versandet und hat lediglich in den Landtagswahlkämpfen 1996 kurzfristig nochmals eine Rolle gespielt. Gerade vor dem Hintergrund der Finanznot der öffentlichen Kassen und angesichts der Tatsache, dass es künftig mehr anerkannte Religionsgemeinschaften geben wird, die das Recht auf Religionsunterricht haben, müssen auch die beiden großen christlichen Kirchen diese Debatte offensiv führen und dabei auch über eine wechselseitige Öffnung nachdenken. Wertorientierung ist nötig Spätestens seit dem 11. September greift hierzulande die Erkenntnis Raum, dass es gut ist, wenn in Schulen ein wertebezogener Unterricht erteilt wird, der Schülerinnen und Schüler miteinander ins Gespräch bringt und gerade durch die bewusste Auseinandersetzung mit den Wertorientierungen ihrer Umgebung vor Fundamentalisten jeglicher Art feit. In Berlin wurde die sogenannte Bremer Klausel viele Jahre so ausgestaltet, dass es weder Ethik- noch Religionsunterricht als Pflichtfach gab, dafür aber diverse Träger Religionsunterricht oder Wertekunde auf eigene Verantwortung und ohne Einfluss der Schulbehörden auf den Lehrplan angeboten haben. Dass dies ein unbefriedigender Zustand war und die Bremer Klausel dringend mit Inhalt gefüllt werden muss, ist mittlerweile Konsens. In diesem Sinne ist der Beschluß des rot-roten Senats zu begrüßen, einen für alle Schüler und Schülerinnen verbindlichen Werteunterricht einzuführen. Alternative Wahlpfichtfach Allerdings ist es völlig unverständlich, weshalb die Berliner Landesregierung zwar Ethikunterricht zum Pflichtfach machen, zugleich aber Religionsunterricht völlig außen vor lassen will, anstatt ihn als Wahlmöglichkeit im Rahmen eines Wahlpflichtfachs anzubieten. Religionsuntericht wird damit bestenfalls Zaungast an Berliner Schulen, ein Privatvergnügen für die wenigen konfessionell gebundenen Schüler - und langfristig könnte er sogar ganz von den Schulen verschwinden, wenn die Berliner Kirchenleitungen sich nämlich entschließen, das offenbar von der Politik unerwünschte Fach dann konsequenterweise nur noch in den Pfarrgemeinden anzubieten. Eine solche Entwicklung hätte allerdings fatale Konsequenzen. Das ist offenbar auch den als sehr kirchenfern eingeschätzten Berliner Bürgerinnen und Bürgern bewusst: Die Mehrheit von ihnen spricht sich mittlerweile dafür aus, den Schülern die verpflichtende Wahl zwischen Religion und einem konfessionsfreien Werteunterricht zu lassen. Die Zustimmung zu einem solchen Wahlpflichtfach überwiegt unter Anhängern sämtlicher Parteien: Die SPD/PDS-Koalition sowie die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, die den Plan der Koalition unterstützen, können sich damit also des Beifalls ihrer Wähler keineswegs sicher sein. Die gemeinsame Protestkampagne der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, des Erzbistums und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die eine Wahlmöglichkeit unter gleichwertigen Angeboten fordert, haben mittlerweile mehr als 55 000 Menschen unterzeichnet. Kein Mittel gegen Fundamentalismus Selbstverständlich spricht nichts gegen die Absicht, angesichts der forschreitenden Pluralisierung und Säkularisierung der Gesellschaft all denjenigen Schülern, die sich nicht weltanschaulich oder konfessionell gebunden fühlen, einen guten und fundierten Werteunterricht zu geben, in dem sie die anderen Religionen, deren Weltanschauungen und auch die Grundwerte, die uns alle tragen, nämlich die Grund- und Menschenrechte, kennen lernen. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, ein wissensvermittelnder Unterricht könne die authentische Werteorientierung, also den Unterricht durch Lehrende, die sich selbst zu einer bestimmten Religion bekennen, ersetzen. Das gilt vor allem auch im Umgang mit dem Islam: Die verbindliche Wertekunde in Berlin wird nicht zuletzt deshalb eingeführt, um damit die als fundamentalistisch geltende Islamische Föderation aus der Schule zu drängen, die sich das Recht auf Religionsunterricht gerichtlich erkämpft hat. Es ist aber zumindest naiv anzunehmen, gerade gläubige muslimische Eltern würden einen rein religionskundlichen und noch dazu einen vergleichenden Unterricht als Ersatz für islamischen Religionsunterricht anerkennen: Das Pflichtfach Wertekunde wird insofern die muslimischen Schülerinnen und Schüler zurück an die Koranschulen und Moscheen verweisen, wo der Staat keinerlei Einfluss darauf hat, ob die religiöse Unterweisung im Einklang mit dem Grundgesetz steht. Gerade im Sinne der Integration sollten wir es daher ermöglichen, dass Kinder verschiedenster Religionsgemeinschaften das Recht auf ein Pflichtfach an ihrer Schule erhalten, wo Religionsunterricht in Deutsch, auf dem Boden des Grundgesetzes und mit Curricula, die von der Schulbehörde in didaktisch-methodischer Hinsicht (und nicht etwa im Blick auf die Glaubensinhalte) begutachtet worden sind, stattfindet. Dialog und Begegnung ermöglichen Nichtsdestotrotz halte ich es für richtig, Kinder auch ins Gespräch zu bringen über ihre jeweiligen Überzeugungen. Daher befürworte ich nach wie vor den Vorschlag, den Kardinal Georg Sterzinsky und Bischof Wolfgang Huber gemeinsam Anfang der 90er-Jahre im Zusammenhang mit dem erbitterten Streit um LER gemacht haben: einen Wahlpflichtfachbereich mit konfessionellem Unterricht und Ethikunterricht einzurichten, der aber bestimmte Unterrichtseinheiten vorsieht, wo alle Schülerinnen und Schüler integrativ unterrichtet werden. Eine solche Fächergruppe schafft die notwendige Offenheit für weitere religiös oder weltanschaulich bestimmte Fächer neben Ethik und dem konfessionellen Religionsunterricht. Berlin ist, wie andere Großstädte auch, geprägt von einer Vielzahl von religiösen und kulturellen Einstellungen. Die Pluralität des Modells trägt dem Rechnung. Angesichts der unübersichtlich gewordenen religiösen und weltanschaulichen Bewegungen und vielfältigen Angebote der Lebensgestaltung muss Religionsunterricht vor allem religiös alphabetisieren. Die Stärke des Modells liegt in der angestrebten Kooperation innerhalb der Fächergruppe. In den Phasen gemeinsamen Lernens können Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten religiöser und kultureller Traditionen erarbeitet werden. Dieses Verständnis fördert die Toleranz gegenüber anderen Anschauungen, eine soziale Kompetenz, die auch über das Unterrichtsfach hinaus von immenser Bedeutung ist. Würde Berlin sich für ein solches Modell entscheiden, könnte es Vorbildcharakter für ganz Deutschland entfalten. Zusammenarbeit erproben Ich werde den Verdacht nicht los, dass es bei der Berliner Entscheidung für ein Fach Wertekunde letztlich sehr viel weniger um jene viel bemühten Werte und sehr viel mehr um den schnöden Mammon geht. Weitere muslimische Träger werden die Bremer Klausel nutzen und demnächst ihren Anspruch auf die Erteilung von Religionsunterricht erheben, so wie es die Zeugen Jehovas nach einem aktuellen Gerichtsurteil heute bereits tun könnten. Ein Wahlpflichtfach Religion und Ethik als ordentliches Unterrichtsfach würde aber bedeuten, dass man die Religionslehrer der verschiedenen Bekenntnisse an den Universitäten ordentlich ausbilden und anschließend einstellen müsste. Das kostet Geld, und in Zeiten leerer öffentlicher Kassen kann ich sehr gut verstehen, dass da manchem himmelangst wird, wenn man bedenkt, dass womöglich an manchen Schulen zehn oder mehr Religions- und Ethiklehrer unterrichten müssten, um jedem Schüler Unterricht seines jeweiligen Bekenntnisses geben zu können. Das ist kein Argument dagegen, den Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach einzuführen. Aber es ist sehr wohl ein Appell an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, Ökumene im Blick auf Religionsunterricht erheblich weiter zu denken, als das bisher geschieht. Selbst wenn das große Modell einer gemeinsamen Fächergruppe erst mittelfristig umzusetzen ist, können im Rahmen des evangelischen und katholischen Religionunterrichts schon jetzt konkrete Schritte der ökumenischen Zusammenarbeit modellhaft erprobt werden. In manchen Bundesländern hat ein solches Nachdenken auch endlich begonnen. Autor: Christa Nickels MdB, Mitglied im Hauptausschuss des ZdK
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